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Donnerstag, 31. Mai 2012

Meine Nazis - 3.Teil

Anfang der achtziger Jahre war ich in meiner Funktion als Fraktionsassistent (Nachrücker), angehender Abgeordneter und Schwulenaktivist bei den Grünen von der Münchner Schwulengruppe VSG (Verein für sexuelle Gleichberechtigung) eingeladen. Ich sollte über die parlamentarischen Möglichkeiten zur endgültigen Streichung des § 175 referieren. Nach einem herzlichen Empfang durch die Mitglieder des Vereins sollte ich zu versammelten Gästen in den Vereinsräumen sprechen.

Gleich nach meiner Vorstellung und einem Grußwort erhoben sich ca. 10 junge Männer von ihren Plätzen, zertrümmerten Bierflaschen an den Tischkanten und bedrohten mit den Flaschenhälsen und dem Ruf "Schwule sind keine Deutschen" die anwesenden Gäste. Einer der Aggressoren, ein dicker großer blonder Typ, band sich ein weißes Tuch vor den Mund und schoss mit einer Pistole in meine Richtung. Da ich annahm, dass es sich bei der Waffe um eine harmlose Schreckschusspistole handelte, ging ich auf den Schützen zu und versuchte ihm die Waffe weg zu nehmen. Um zu verhindern, dass ich ihm die Waffe weg nehme, zog er sie hoch und feuerte sie aus nächster Nähe in mein Gesicht ab. Das führte zu einer Platzwunde auf der Backe direkt unterhalb des Auges und als Langzeitfolge zu einem Tinitus. Der Krankenwagen brachte mich zur ambulanten Behandlung in ein nahe gelegenes Krankenhaus. Leider konnte nur ein 16jähriger Bengel bis zum Eintreffen der Polizei festgehalten werden.



Einige Zeit später erreichte mich ein Anruf und eine Vorladung aus München. Man hatte besoffene Neonazis auf dem Oktoberfest verhaftet, denen das Zusammenschlagen eines gehörlosen Jugoslawen noch nicht genug war. Sie haben versucht ihn anschließend wieder von der Trage der Sanitäter herunter zu holen um ihn weiter zu misshandeln und sind dabei verhaftet worden. Einer war dick, groß und blond und wurde einfach mal auf Verdacht von einem Polizisten nach den Schüssen auf Herbert Rusche gefragt. Der blonde Nazi nahm wohl an, dass man bei der Polizei mehr wisse und rückte sofort mit einem Geständnis heraus.

In der gleichen Zeit wurde mir erzählt, dass in der Schwulendisco "Contruction Five" in Frankfurt eine ganze Clique von schwulen Neonazis verkehre. Ein Peter aus Frankfurt, in der Szene als "Nazi-Petra" bekannt, sei dort sogar Stammgast. Als ich einen Abend an einem Wochenende in dieser Disco verbrachte, erfuhr ich von einem Bekannten, dass besagte Nazi-Petra anwesend sei. Auf meine Bitte hin wurden wir mit einander bekannt gemacht. Nun hatte ich erstmals die Gelegenheit wirklich zu erfahren wie man zu einem schwulen Nazi werden kann.
Peter wuchs in einer Frankfurter Vorstadt auf und hatte wohl kein allzu aufregendes Leben dort mit gleichgültigen Eltern. Er lernte im Alter von 13, 14 Jahren Jungs im gleichen Alter kennen, die bei der "Wikingjugend" waren. Bald war er mit dieser Gruppe auf Treffen mit Zelten und Lagerfeuern. Noch nicht ahnend, dass das etwas mit seiner sexuellen Ausrichtung zu tun haben könnte, gefielen ihm die jungen Männer mit den kurzen Hosen und der Gitarre am Lagerfeuer besonders gut. Bis er dann endlich merkte, dass er anders tickte als die meisten seiner Freunde, war er in die Wikingjugend und andere rechte Gruppen schon voll integriert. Er lebte dann ein Doppelleben und offenbarte sich nur den wenigen in dieser Szene, von denen er wusste, dass sie wie er "anders" waren.
Ich nutzte die Gelegenheit ihm zu erzählen wie und warum aus mir ein "Alternativer" wurde, verbunden mit dem Angebot schwuler Solidarität, wenn er mal Schwierigkeiten mit seinen "Kameraden" bekommen sollte.
Viele Jahre später begegnete ich Peter wieder. Er hatte nichts mehr mit der Nazi-Szene zu tun, ging einer regelmäßigen Tätigkeit nach und war mittlerweile SPD-Wähler. Gefreut habe ich mich zu erfahren, dass unser langes Gespräch seinerzeit im Construction Five, zusammen mit andren Faktoren, ihm half einen neuen Weg zu gehen.
Peter hatte übrigens von der Sache in München gehört und wusste, wie er mir sagte, wer der Schütze war oder zumindest zu welcher Gruppe er gehörte.

Einige Zeit nach dem Vorfall in München bekam ich Nachricht vom Bundeskriminalamt mit der dringenden Bitte, dafür zu sorgen, dass ich meine Adresse aus allen öffentlichen Verzeichnissen, wie z.B. dem Telefonbuch, austragen lasse. Bei einer Razzia bei Neonazis in München hatte man schon vor Jahren eine schwarze Liste in Form eines Ordners mit der Aufschrift "Gegner 1" gefunden, in dem ich zusammen mit verschiedenen Politikern als zu bekämpfender Feind aufgeführt war.

Samstag, 26. Mai 2012

Meine Nazis - 2.Teil


Durch meine frühen Erlebnisse mit Nazis, ich nenne Sie mal Altnazis zur Unterscheidung von Neonazis, konnte ich mir nicht vorstellen, dass diese Einstellung für irgend einen klar denkenden Menschen attraktiv sein konnte. Eingebettet in meine links-alternative Community in der ich nach meinem schwulen Coming Out nach 1970 eine, nicht nur politische, Heimat fand, konnte ich mir nicht vorstellen, dass die Altnazis noch lange leben und wirken würden oder dass es Neunazis bzw. Neonazis gibt, die ihre traurige Tradition weiterleben ließen. Auf einer damaligen Tramp-Tour wurde ich dann eines Besseren belehrt.
Im Alter von 19 Jahren und als Mitbegründer der ersten Schwulengruppe Heidelbergs, wollte ich per Anhalter nach Hamburg. Meine Mitfahrgelegenheit setzte mich in Hannover ab, so dass ich in einer dortigen Schwulenkneipe, mit zugehöriger Sauna, namens Vulkan landete. Als junger, ich denke mal auch gut aussehender, schwuler Mann musste man sich um Übernachtungsgelegenheiten in dieser Zeit kaum Sorgen machen. Im Gegenteil man konnte sogar meist aus mehreren Möglichkeiten mit oder ohne "One Night Stand" auswählen. So erspähte ich im Vulkan einen unverschämt gut aussehenden Mann von Mitte Zwanzig an der Bar dieses Lokals. Ein kleiner beabsichtigt-unbeabsichtigter Rempler beim Getränkekauf an der Theke bot mir Gelegenheit mit ihm in Kontakt zu kommen. Die Entschuldigung meinerseits, verbunden mit einer kurzen Vorstellung brachte uns ins Gespräch. Bald darauf waren sich "Herbert aus Heidelberg" und "Jürgen aus Hannover" einig, dass sie die Nacht gemeinsam in der, in der Nähe gelegenen, Wohnung von Jürgen verbringen wollten. Die Stiefelkollektion und die Accessoires aus Militärbeständen, die er mir zeigte, waren für mich nicht ungewöhnlich, da auch linke Studenten in Heidelberg und anderorts gerne und oft preiswert erhältliche Restbestände der Bundeswehr und der US-Army auftrugen. Ein gewisser Fetisch-Reiz dieser Kleidungsstücke war auch in schwul-alternativen Kreisen nicht unbekannt. So verbrachte ich eine Nacht mit Jürgen aus Hannover, die ich noch heute in guter Erinnerung habe.

Filmzusammenschnitt über "schwule Nazis"

Am nächsten Morgen ging Jürgen Brötchen holen, während ich den Kaffee aufbrühte und den richtigen Zeitpunkt für die Frühstückseier abwartete. Bei seiner Rückkehr hatte Jürgen außer Brötchen und Marmelade noch die BILD-Zeitung unter dem Arm. In der Zeit von "Enteignet Springer" und Demonstrationen gegen dieses Verlagshaus war es nicht üblich, dass man sich in meinem Freundeskreis dieses Blatt kaufte. Meine Verwunderung diesbezüglich und die Frage, was er denn sonst noch so lese, führte zu seiner Küchenbank mit Stauraum unter der Sitzfläche, in der er einen großen Stapel der "Nationalzeitung" aufbewahrte. Nun erst fragte ich ihn nach seinem Nachnamen. Es handelte sich um Jürgen Neumann. Dieser Name war mir allerdings bekannt.
Als sich damals nach 1969 und nach der Liberalisierung des § 175 im gesamten Bundesgebiet Schwulengruppen gründeten, gab es außer Gruppen am linken Spektrum eine bundesweit bekannte Gruppe aus dem Rechts-Konservativen Lager, die sich Deutsche Homophilen Organisation (DHO) nannte. Keiner wusste wer hinter dieser Gruppe steckte und wer dort Mitglied war. Der einzig bekannte Name dieses Vereins war der des "Vorsitzenden" Jürgen Neumann. Beim Frühstück erfuhr ich noch, dass bei "Jürgen" Stricher aus Hannover ein und aus gingen und dass er einige großzügige, meist ältere Herren kannte, deren Namen nicht genannt werden durften, welche seine DHO-Gruppe finanziell unterstützten.
Als ich nach meinem kurzen Besuch in Hannover und Hamburg zurück nach Heidelberg kam, war das Entsetzen meiner schwulen, wie gesagt eher links orientierten, Freunde bei der Schwulengruppe "Homo Heidelbergensis" groß. Man konnte diesen Kontakt nicht gut heißen, war aber trotzdem sehr an Details interessiert. Jürgen Neumann war damals nicht nur ein berüchtigter Aktivist der rechten Szene, sondern auch mehr als einmal in diversen Schwulenzeitschriften als Fotomodell abgelichtet. Viele Jahre später tauchte Jürgen Neumann als, mittlerweile etwas aus der Form geratener, Journalist der kostenlosen Schwulenzeitschrift "First" wieder auf. Er kritisierte mich und meine politischen Aktivitäten im Zusammenhang mit meinem Bundestagsmandat und später, vermutlich ohne sich an diese Nacht in Hannover zu erinnern.
Als Wachmann, ehemaliges NPD-Mitglied und DHO-Vorsitzender findet Jürgen Neumann auch in folgender interessanten Arbeit zu schwulen Neonazis von Dr. Gottfried Lorenz kurz Erwähnung:

Schwule Rechtsradikale in Hamburg – Teil der Community?

Freitag, 4. Mai 2012

Meine Nazis - 1.Teil

Mein Staunen ist immer wieder groß wenn ich von Neo-Nazis höre oder lese. Meine Erlebnisse mit "echten" Nazis waren so widerlich, grauenvoll, schmerzhaft und traumatisierend, dass es mir immer wieder ein Rätsel ist, wie diese armen Irren dazu kommen sich mit diese Ideologie zu identifizieren.

Das Jahr meiner Geburt war 1952, also sieben Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges. Was mir in den ersten 10 Jahren meines Lebens nicht bewusst war, auch nicht bewusst sein konnte: Ich, und alle anderen Kinder mit mir, waren damals von alten Nazis umgeben, die mehr oder weniger viel Kreide gefressen hatten um sich in der Nachkriegszeit, meist ohne bessere Einsicht, durchzumogeln.

Erst in den 60er Jahren bekam ich bei dem einen oder anderen von den alten Herren ein ungutes Gefühl, weil ich, im Gegensatz zu den meisten meiner gleichaltrigen Freunde, das Glück hatte, von einem für damalige Verhältnisse aufgeklärten und kritischen Vater erzogen zu werden.

"Meine" ersten Nazis:

- Der Lehrer. In der Zwergschule in dem Dorf in dem meine Familie lebte praktizierte der Hauptlehrer fast täglich Prügelstrafen. Vorwiegend die so genannten "Tatzen", waren an der Tagesordnung. Diese Strafen trafen vor allem die "faulen" Schüler. In diese Kategorie fiel man immer, wenn man nicht im Sinne des Lehrers funktionierte. Im Gemeinschaftskunde-Unterricht bekamen wir von verschiedenen Systemen zu hören in denen Menschen lebten. Da war z.B. der Kommunismus, der in unerträglicher Weise alle gleich machen wollte und nicht akzeptierte, dass Menschen unterschiedlich sind. Dann gab es die Demokratie, in der jeder reden konnte und in der man vor lauter diskutieren und besprechen mit allen Beteiligten nie zu einem Ergebnis kommt. Als letztes und klar überlegenes System wurde uns die Diktatur (mir ist nicht mehr gegenwärtig wie er es selbst genannt hat) vorgestellt. In diesem System führt eine Person und/oder eine Elite mit starker Hand das Volk zu seinem eigenen Besten. Wer diese Person ernennt oder diese Elite bestimmt, blieb im Dunkel. Ein Ergebnis dieses Unterrichtes war, dass die Deutschen eine "starke Hand" bräuchten, was ich als Zitat immer wieder zu hören bekam.

- Der Onkel. Der älteste Bruder meiner Mutter aus dem gleichen Dorf, erzählte immer mal wieder mit Begeisterung von der Nazi-Schulung für die Landjugend im Nachbardorf Mühlhausen, welche ihm zuteil wurde. Er hat später als "Landwirt" (Bauer durfte man nicht sagen) und "Herrenmensch" nach der Besetzung Polens enteignete Güter im Auftrag der Nazis verwaltet. Er war sehr autoritär und verprügelte regelmäßig und sehr ausgiebig meine beiden älteren Cousins. Diese Prügelstrafe hatte nichts mit der Ohrfeige oder dem Klaps auf den Po zu tun, welches man heute als körperliche Züchtigung sehen würde. Mit Lust und Ausdauer konnte er eine Prügelorgie auch mal bis zu 15 bis 20 Minuten pro Kind ausdehnen, meist benutzte er dazu einen Stock. Es war wohl der Respekt vor meinem Vater, der ihn hinderte auch mich oder meine Schwester dieser Folter zu unterziehen.
Ein Kinderbuch, an das ich mich erinnere und das meine Cousins in den 50er Jahren zu lesen hatten, handelte von essbaren und giftigen Pilzen als Vergleich zu "guten" Menschen und Juden. Dass dieser Mann ein Mitglied des dörflichen Kirchengemeinderates sein konnte, war einer der Gründe für mich, mit 17 Jahren gleich wieder aus der Kirche auszutreten.

- Ein weiterer Lehrer. Ihn hatte ich während meiner Schulzeit in Wiesloch, dem nächst größeren Ort. Sein Name war Ulrich, er war CDU-Stadtrat und sehr stolz darauf, dass sein bärtiger Vater kein Nazi, sondern in der Weimarer Zeit ein aktives Mitglied der Zentrumspartei war. Aus diesem Umstand erklärte er sich und seinen Vater zu Antifaschisten. Seine pädagogischen Methoden sind erwähnenswert: Ohrfeigen und Tritte waren auch ihm nicht fremd. Hatte einer der Schüler wiederholt seine Hausaufgaben nicht gemacht, dann musste die gesamte Klasse (23 Jungs und 6 Mädchen) eine Stunde länger da bleiben, mit der Bemerkung: "Ihr wisst ja bei wem ihr Euch zu bedanken habt"...